[ein Beitrag in eigener Sache…]

Zahlreiche Theorien aus unterschiedlichen Disziplinen befassen sich mit dem Gesundheitsverhalten und möglichen Faktoren, die dieses beeinflussen. Dabei unterscheiden sich bisweilen auch die jeweiligen Definitionen des Begriffs „Gesundheitsverhalten“. Allgemein werden damit meist jene Aspekte des Verhaltens zusammengefasst, die sich auf die Gesundheit und deren Erhaltung beziehen. Hierzu zählen Ernährung und Bewegung ebenso wie das Risikoverhalten.

Auf dem Gebiet der Designforschung lassen sich zahlreiche Konzepte und Methoden finden, die das Gesundheitsverhalten positiv beeinflussen sollen. Einige dieser Methoden zielen darauf ab, das individuelle Bewusstsein in Bezug auf Risiken und Gefahren zu stärken oder die Motivation etwa durch spielerische Anwendungen zu steigern.

Mit dem sogenannten Design Model for Health Behavior Change (DMHBC) wurde nun auf der Design4Health Conference 2018 ein designtheoretisches Modell vorgestellt, das auf einem klassischen gesundheitspsychologischen Theoriemodell beruht und dieses über designmethodische Schnittstellen in den Arbeitsraum der Gestaltung überträgt.

Ausgangsbasis dieses Modells bildet das sozial-kognitive Prozessmodell (Health Action Process Approach, HAPA) des Gesundheitspsychologen Ralf Schwarzer (Schwarzer, 2004). Vereinfacht ausgedrückt beschreibt dieses Modell den Ansatz, dass zur Änderung eines (Gesundheits-)Verhaltens eine ausreichend starke Intention nötig ist. Diese Absicht wird durch drei Faktoren beeinflusst: Wer etwa überlegt das Rauchen aufzugeben muss zunächst davon überzeugt sein, dazu auch praktisch in der Lage zu – quasi das Zeug dazu zu haben. Gesundheitspsychologen nennen dies die „Selbstwirksamkeitserwartung“. Daneben bedarf es auch einer „Handlungsergebniserwartung“, nämlich die Gewissheit, dass es auch etwas nützt das Rauchen aufzugeben – z.B. weil man dann körperlich leistungsfähiger ist oder eine höhere Lebenserwartung besitzt. Außerdem spielt die Risikowahrnehmung hierbei eine Rolle. So stellt sich diese Person die Frage, welche Risiken damit verbunden sind das Rauchen fortzuführen aber auch welche Gefahren die Aufgabe dieser Gewohnheit mit sich bringt. So fällt etwa die Zigarettenpause im beruflichen Kontext weg und die betroffene Person könnte befürchten hierbei soziale Nachteile zu erleiden.

Wer dann die Absicht gebildet hat tatsächlich das Rauchen aufzugeben, überschreitet eine entscheidende Hürde und kommt von der sogenannten Motivationsphase in die Volitionsphase. Die Person plan konkrete Schritte wie sie das Rauchen aufgeben will, zum Beispiel mit der berühmten „letzten Zigarette an Silvester“ und betritt einen Kreislauf des Handelns (Action). Schwarzer berücksichtigt hierbei, dass es von großer Bedeutung ist, die Handlung aufrechtzuerhalten (Maintenance) und bei Rückschlägen wiederaufzunehmen (Recovery).

Dabei bestehen in der Umwelt stets situative Barrieren und Gelegenheiten. Wenn ein guter Freund zur gleichen Zeit das Rauchen aufgeben möchte, kann die gemeinsame Motivation eine hilfreiche situative Gelegenheit sein. Dagegen kann das Feierabendbier mit Freunden eine situative Barriere auf dem Weg zum Nichtraucher darstellen.

Eine besondere Rolle in Schwarzers sozial-kognitivem Prozessmodell stellt die Selbstwirksamkeitserwartung dar. Diese hat nicht nur einen unmittelbaren Einfluss auf die Absichtsbildung, sondern in gleichem Maße auf die Planung und Aktion selbst.

 

Designtheoretische Erweiterung

Das Design Model for Health Behavior Change (DMHBC) baut unmittelbar auf diesem gesundheitspsychologischen Modell auf und erweitert dieses um gestalterische Anwendungsoptionen, die unterbewusste Effekte mitberücksichtigen. So werden die verschiedenen Faktoren und Schritte im sozial-kognitiven Prozessmodell als bewusste kognitive Vorgänge verstanden. Das DMHBC unterstreicht, dass gestalterische Maßnahmen wie die konzeptionelle aber auch formal-ästhetische Gestaltung die Aspekte Selbstwirksamkeit, Handlungsergebniserwartung und Risikowahrnehmung unmittelbar bewusst und unbewusst beeinflussen.

Die Selbstwirksamkeitserwartung in Bezug auf einen bestimmten Verhaltensaspekt kann zum Beispiel gestalterisch beeinflusst werden, indem Produkte und Systeme die Ausübung dieser Handlung signifikant erleichtern. Wem eine Handlung leichter fällt oder wer erwartet, dass eine Handlung ohne größere Probleme von ihm umgesetzt werden kann, sieht sich eher in der Lage diese Handlung umzusetzen und somit selbstwirksam zu sein. Hierbei spielen zum Beispiel Aspekte der Usability oder der Ergonomie eine Rolle.

Ebenso kann die Handlungsergebniserwartung etwa durch die formal-ästhetische Gestaltung beeinflusst werden. Dabei können Aspekte wie die produktsprachliche Funktion von Gestaltung eine bedeutsame Rolle spielen. Indem Prozesse und Wirkweisen einer Behandlung transparent sichtbar und unter Umständen sogar der stückweise Erfolg einer therapeutischen Maßnahme messbar werden, vermittelt Gestaltung die Wirksamkeit eines Prozesses und beeinflusst auf diese Weise die Handlungsergebniserwartung.

Besonders deutlich wird dies zum Beispiel im kinderärztlichen Bereich. Therapeutische und diagnostische Setups, die etwa durch ihre formal-ästhetische Anmutung stilistisch eher spielerische Welten adressieren, statt in einer klinisch sterilen Anmutung zu verharren, erzeugen im jungen Patienten eine positive Erwartungshaltung. Anstelle einer angsteinflößenden oder verunsichernden Behandlung werden Spiel und Spaß als Ergebnis der eigenen Handlung – nämlich der Mitarbeit an der Untersuchung – erwartet. Entscheidender Punkt hierbei ist, dass sich die hieraus resultierende Bereitschaft zum Mitwirken, die sogenannte Compliance, ebenso direkt auf das subjektive Erleben der Behandlung auswirkt und sie tatsächlich weniger verunsichernd und eher spielerisch werden lässt. Über diese Handlungsergebniserwartung fungiert Gestaltung im Sinne eines Placebos (Rehn, 2019; 2017) und verändert durch die Suggestion einer positiveren Prozedur die Prozedur selbst.

Der dritte Aspekt, der nach dem HAPA die Absichtsbildung beeinflusst, die Risikowahrnehmung, lässt sich in direkter Weise zu gestalterischen Attributen? verändern. Deutlich wird dies am Beispiel der technisch und meist auch ästhetisch komplexen Apparaturen der Medizintechnik. Obgleich sich dieser Bereich in den vergangenen 30 Jahren auch gestalterisch massiv entwickelt hat, sind weiterhin Räume und technische Aufbauten im medizinischen Kontext anzutreffen, die durch ihre bloße Anmutung und visuelle Komplexität die subjektive Risikowahrnehmung steigern. Dies ist zu weiten Teilen der Tatsache geschuldet, dass Abläufe und Wirkweisen für den besorgten Patienten und meist medizinischen Laien nicht nachvollziehbar sind und der technoide Charakter vieler solcher Systeme an mechanische und industrielle Verfahren erinnert, die zum sensiblen menschlichen Organismus im Widerspruch zu stehen scheinen.

In dieser Hinsicht können gestalterische Maßnahmen an drei Stellschrauben in der pre-intentionalen Motivationsphase drehen, um auf das Gesundheitsverhalten bzw. die Absichtsbildung zu wirken. Darüber hinaus ist ein weiteres Potential der Gestaltung in der Volitionsphase zu finden. Denn Gestaltung kann in vielerlei Hinsicht situative Barrieren und Gelegenheiten verändern oder grundsätzlich schaffen. Wer einen aktiveren Lebensstil anstrebt und sich daher regelmäßig sportlich betätigen möchte, wird unter Umständen öffentliche und kostenlos zur Verfügung stehenden Fitnessgeräte als niederschwellige situative Gelegenheit wahrnehmen. Gleichermaßen kann auch die systematische Anbringung von Handdesinfektionsmitteln im klinischen Setting eine solche situative Gelegenheit darstellen und die entsprechende Hygiene-Compliance beim medizinischen Personal steigern.

Dagegen kann beispielsweise die rein technisch-funktionale Gestaltung von Prothesen für die NutzerInnen als ästhetisches Stigma wahrgenommen werden, das als situative Barriere wirkt und die aktive Teilhabe am öffentlichen Leben erschwert. Individualisierte formal-ästhetische Gestaltungen dieser Objekte bestätigen jedoch das Stigma reduzierende Potential gestalterischer Bestrebungen.

Das Design Model for Health Behavior Change stellt einen ersten systematischen Rahmen für gestalterische Interventionen zu Gesundheitsverhaltensänderungen dar und ist bewusst als offenes System gedacht. Damit lässt es sich mit anderen Modellen und Theorien verbinden und stetig erweitern. Inwiefern das Modell über das analytische Potential hinaus auch als strukturierende Entwurfshilfe geeignet ist, muss sich erst noch in der Entwurfspraxis zeigen.